FAME – 1.1.2023 bis 31.1.2023

ADELE 1, 5 min, 2011
Eigentlich ist das Video wie für youtube gemacht: In einem Wohnzimmer sitzt Kurdwin Ayub vor einem Couchtisch, auf dem ein Laptop steht. Intimität vermittelt dabei nicht nur das teils unaufgeräumte, offensichtlich private Setting, auch die Künstlerin selbst wirkt in einem einfachen Leibchen nicht so, als hätte sie sich extra für ihren „Auftritt“ zurecht gemacht. Wie auf youtube üblich, spricht sie einführend direkt in die Kamera und erzählt, dass sie jetzt ein Lied singen wird, dass gerade gut zu ihrer Lebenssituation passt. Es handelt sich dabei um den Love-Song Someone Like You von Adele, den diese ihrem Ex-Freund gewidmet hat. Im Gegensatz zu seinen vielen Cover-Versionen auf youtube, benutzt die Künstlerin den Song jedoch nicht, um ihre gesangliche Virtuosität vorzuführen: Vielmehr spielt sie Someone Like You von Adele auf dem Computer ab und versucht – anfangs durchaus motiviert – sowohl die Töne als auch die Lyrics zu treffen. Bald jedoch verliert sie sich in den Zeilen, Tönen und Emotionen und blickt schließlich nur noch traurig und resigniert vor sich hin.

Katzenhimmel, 12 min, 2012
Dies ist ein Versuch, ein Topmodelbewerbungsvideo zu drehen. Obwohl es der Figur sichtlich unagenehm ist, möchte sie es ehrgeizig zu Ende bringen. Aber als ihr Freund aus dem Zimmer geht, damit sie sich alleine mehr zutraut, beginnt sie über etwas zu reden, was sie emotional viel mehr berührt. (Kurdwin Ayub)

Sexy, 3 min, 2013
Die Rahmenhandlung von sexy wird durch einen riesigen Flachbildfernseher abgesteckt. Darin läuft das Musikvideo „We Can´t Stop“ von Megapopstar Miley Cyrus, das von der Künstlerin Kurdwin Ayub beäugt, kopiert und letztlich auch interpretiert wird. Wie die Sängerin räkelt sie sich im engen bauchfreien Fitness-Outfit, deutet Kopulationsbewegungen auf dem Leintuch an, wackelt mal mit dem Hintern. Die Amateurin und der Profi im Bild verkörpern den jugendlichen Vamp.

Video 1, 6 min, 2014
Ein Mädchen macht einen neuen Videoblog Eintrag. Sie möchte ihre neue Ryan Gosling Zeichnung herzeigen. Sie ist schon die ganze Zeit schlecht drauf und mag eigentlich nicht. Sie fängt an Musik zu hören, dazu peinlich zu weinen, hört auf und fängt wie am Anfang an total schlecht drauf den Videoblog weiter zu machen. (Kurdwin Ayub)

LOLOLOL, 20 min, 2020
In ihrem Atelier, das auch Wohnung ist, arbeitet Anthea an ihrer Kunst. Ein zweidimensionales Plexiglasbild entsteht, es zeigt nicht allzu leicht deutbare Formen, Tiere oder arkane Symbole, die mit der Erscheinung der Protagonistin korrespondieren. Sie trägt ein T-Shirt der Doom-Metal-Band Saint Vitus, schwarzen Minirock, zarten Kettengürtel, bleichoranges Haar, ergänzt um die Allgegenwärtigkeit technischer Arbeits- und Kommunikationsmittel. Retromoderne. Als sich Anthea auf die im Türrahmen installierte Schaukel setzt und das Telefon checkt, hat das Bildformat bereits von Quer auf Hochkant gewechselt. Ti(c)k To(c)k geht die Bewegung, das Handy – auch jenes, mit dem Kamerafrau Caroline Bobek dreht – schert sich wenig um angestaubte Gesetzmäßigkeiten. Dies betrifft besonders die Sprache der Menschen, die in Kurdwin Ayubs LOLOLOL miteinander agieren und zu der die Elterngeneration – die seit Neuestem mit dem Stichwort „OK Boomer“ bezeichnet wird – nur schwer bis gar keinen Zugang findet, weil sie sich zu sehr um Grammatik und zu wenig um die Lebenszusammenhänge ihrer Kinder schert.
Die Verständigungsebene der Clique, die sich zusammenfindet, ist geprägt von einer charmanten Mischung aus alteingesessenem Wienerisch und ausgesprochenen Internetkürzeln – „ur weird“. Anthea sagt, sie liebt es, wenn sich Beziehungen, die vorher „random“ waren, wieder normalisieren, es war „der Höhepunkt der Randomness“, bekräftigt ihre Freundin. Im Laufe des Abends verliert sich Anthea zwischen Megaartevent und Clubbingatmosphäre, es wirkt bisweilen anstrengend, die Kunst, die Begegnungen, der Smalltalk. Wenn aber der nächste Tag mit dem Blick aufs Handy anbricht, kann das Flüchtige zu neuen Kräften kommen. Voll nice. (Melanie Letschnig)
VAGINALEN ETC. – 1.2.2023 bis 28.2.2023

Die Intrige und die Archenmuscheln, 2 min, 2010
Sex, Drugs and Rock n´Roll. Statt eines hüfteschwingenden Sängers und aufgedonnerten Backgroundtänzerinnen präsentiert Kurdwin Ayub in ihrem Animationsfilm „Die Intrige und die Archenmuscheln“ nackte Tatsachen: Ein singender Penis performt auf einer Bühne, Vaginas bewegen sich dazu im Takt der Musik, flattern mit den Schamlippen und umgarnen den Penis-Rockstar. Den Sound dazu liefert der Song „Have Love, will Travel“ der Gruppe „The Sonics“, die seit den frühen 1960er Jahren mit Liedern wie „The Witch“, „Psycho“, „Cinderella“ oder „He´s Waiting“ Erfolge feierten, als Paradebeispiele des Garage-Rock gelten und in den späten 1970ern ein Revival als Garage-Punk-Band erlebten. Ayubs Clay-Animation als Persiflage von Auftritten genau dieser Kultband zu antizipieren, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Die Filmemacherin zeigt lustvoll generelle Performance-Strategien des Rock n´Rolls auf und bringt schonungslos auf den Punkt, was sonst im wahrsten Sinne des Wortes verhüllt ist: eine Hervorkehrung des männlichen, unwiderstehlichen Sexappeals in Form von machoiden Klischees auf der Bühne, unterstützt von weiblichem Groupieverhalten. Als zentrales Motiv des Filmes kann die Textzeile „No matter when, no matter where I´ll be, I´m looking for a woman that´ll satisfy me“ verstanden werden. Der nicht ganz jugendfreie Kommentar erinnert dabei an den Claymation-Film Tiger licking Girl´s Butt (2004) der Künstlerin Nathalie Djurberg, die die ZuseherInnen „mit komplementären Themenpaaren wie Macht – Ohnmacht, Fürsorge – Missbrauch, Gewalt – Liebe, Masochismus – Sadismus, Monstrosität – Verletzlichkeit konfrontiert.“ (Franziska Bruckner)

Langsam reiten Cowboy, 2min, 2011
Ein kurzes gezeichnetes, filmisches Vorspiel, in dem die Annäherung des Mannes der Frau dann doch ein bisschen zu schnell geht.

Schneiderei (Vaginale VI), 5 min, 2011
In einem verspielt, verträumten Setting präsentiert die junge Künstlerin und Performerin Kurdwin Ayub ihre Protagonistin: ein Bett mit Blümchenbettwäsche, zwei Rosen in einer Glasflasche, die Gitarre lehnt an der Wand – auf dem Bett sitzt ein Mädchen im Blümchenkleid und näht.
Ein dicker, schwarzer Lidstrich säumt ihre dunklen Augen und roter Lippenstift betont ihren sinnlichen Mund. Mit unschuldigem Blick in die Kamera erklärt sie, wie sie ihr schwarzes Spitzenhöschen enger nähen muss, damit sie es ihrem dünnen Körper anpassen kann. Sie liebt Reizwäsche, und möchte ihren Freund heute mit diesem schwarzen Höschen überraschen. Beim Nähen kommt sie zum Nachdenken und ihr fallen Geschichten ein: Sie erinnert sich an ein Treffen vor zwei Jahren am Set eines Filmdrehs seiner damaligen Freundin, und wie er sich ihr gegenüber verhalten hat. In Close-ups macht sie die einzelnen handwerklichen Schritte deutlich, in denen sie den Spitzenslip in die passende Form bringt, während ihre Aufmerksamkeit immer wieder zur Geschichte mit ihrem Freund switcht. Es ist eine traurige Geschichte, die sie über ihre Liebe erzählt.
Schneiderei ist Teil VI einer Serie von Kurzfilmen, die Kurdwin Ayub mit Vaginale betitelt. In Schneiderei widmet sie sich ihrem Lieblingsthema, den Beziehungen zwischen Mann und Frau, zwischen Jungen und Mädchen. Sie setzt hier, wie auch bereits in früheren Arbeiten, irritierende Akzente in ihrem Spiel mit Gender-Klischees und bricht auf erfrischende Weise mit ihren naiv anmutenden Settings mit sämtlichen weiblichen Rollenzuweisungen. (Christa Auderlitzky)

Sommerurlaub (Vaginale VII), 3:30 min, 2011
“Stay with me baby, please, stay with me baby, oh, stay with me baby, I can´t go on”, herzzerreissende Lyrics der amerikanischen Soul-Legende Lorraine Ellison, in Playback gesungen von Kurdwin Ayub.
Ein langer Vorhang bewegt sich im Wind, eine Tür, ein schlichtes Bett, mittendrin die zierliche Performerin in einem viel zu großen orientalischen Brautkleid. Allein gelassen in einem Raum, der an ein Hotelzimmer erinnert, singt und tanzt sie sich aberwitzig die Seele aus dem Leib. In realita befindet sie sich im Haus von Verwandten im Irak, in dem die Künstlerin drei Wochen festgesessen ist. Unproportional wie das ausladende Brautkleid, – so ist auch die voluminöse, tiefe Stimme Lorraine Ellisons ein ironischer Kontrast zum zierlichen, mädchenhaften Körper von Kurdwin Ayub.
Der im Wind flatternde Vorhang vorm Fenster läßt einen heißen Sommertag vermuten – doch scheint die junge, verlassene Braut nicht nur in diesem Zimmer, sondern auch in ihrem Kleid und seinen kulturellen Konnotationen gefangen zu sein.
“Remember you said you´d always gonna need me, remember you said you´d never ever leave me” röhrt sie den Song Ellison´s, der 1966 die US R&B Charts stürmte und später von zahlreichen InterpretInnen gecovered wurde.
Eingesperrt in eine Welt, in die sie genauso wenig zu passen scheint wie in das traditionelle Brautkleid und in weibliche Opferrollen, wirkt die ironisch-leidenschaftliche Interpretation des Soul-Liedes in Sommerurlaub wie ein Befreiungsschlag aus traditionellen Weiblichkeitsbildern, die der Performerin ganz und gar nicht “auf den Leib geschnitten” zu sein scheinen. Sommerurlaub ist Teil VII einer Serie von Kurzfilmen, die die junge Künstlerin und Performerin mit Vaginale betitelt. (Christa Auderlitzky)

Katzenjammer, 5 min, 2011
In halb flehentlichen Sätzen bemüht sich Kurdwin Ayub darum, den imaginären Adressaten des Videos – offensichtlich der Exboyfriend – noch einmal in den Bann zu ziehen. Eingeklemmt zwischen den archetypischen Bildern „unschuldiges Mädchen“ und „verführerische Femme fatale“ macht Ayub dabei das Unbehagen, aber auch die Komik, die sich aus den Reibungsflächen zwischen den beiden Vorstellungen von Weiblichkeit ergeben, durch ihr ungelenkes und zögerliches Verhalten deutlich. (Alexandra Seibel)

Like Lucifer – Go! Go! Gorillo, 4:31 min, 2019
Filmemacherin Kurdwin Ayub tanzt in Eigenregie zu den Klängen von Go! Go! Gorillo durch Wien und erschließt Orte des öffentlichen Lebens in ihrem schwarzen Tschador. Sie trifft auf belustigte Männergruppen und apathische Passant*innen und lässt sich von nichts aus der Ruhe oder aus dem Takt bringen. Dancing on her own sozusagen. Das Highlight zum Schluss bildet ein wunderbares Andrzej Żuławski Zitat in einer U2-Station!

Armageddon, 5 min, 2018
Anton und Franz leben zusammen seitdem sie 1938 gebissen und in Vampire verwandelt wurden. Nun haben wir das Jahr 2138. Sie erzählen von den Schwierigkeiten Vampire zu sein und von der Zeit, die sich immer zu wiederholen scheint.

Pretty-pretty, 1:15 min, 2019
In pretty-pretty trifft Kurdwin Ayubs reflexive Selbstinszenierung auf Wiener Aktionismus, Körperhorror verbindet sich mit Schönheit und lässt den von Ayub schon vielfach inszenierten Schmerz erstmals physisch werden. Und während sie mit feiner Nadel die Nerven der Zusehenden zum Zucken bringt, breitet sich in ihrem Gesicht ein blutig-strahlendes Lächeln aus.
Close-up einer jungen Frau. Sie schaut in die Kamera und beginnt zu singen. „Baby, I don’t feel so good.“ Das ebenmäßige Gesicht mit den großen, dunkel umrandeten Augen bleibt stoisch. Selbst als sich latexumkleidete Finger zielsicher mit einer Spritze nähern, die Kanüle die feine Haut der Oberlippe durchstößt und tiefrote Blutstropfen an die Oberfläche dringen. Kameraadressierende Performances, auch mit Gesangseinlage, sind in Kurdwin Ayubs Œuvre keine Neuheit. Dass dabei (ihr eigenes) Blut fließt, die Performance sich in ihren Körper regelrecht einschreibt, schon. Ihre Interpretation eines Genrefilm-Festival-Trailers wählt den dokumentarischen Zugang. In pretty-pretty trifft Ayubs oberflächenkritische Selbstinszenierung auf Wiener Aktionismus. Evozierter Körperhorror, der sich mit Schönheit verbindet: Ein Schmerz, den Ayub schon vielfach inszeniert und zelebriert hat, wird in pretty-pretty erstmals physisch. Aber während die dünne Nadel die Nerven der Zusehenden zum Zucken bringt, zeigt sie keine Spuren des Leids: Auf ihrem Gesicht macht sich ein blutig-strahlendes Lächeln breit. (Diagonale 2020, die Unvollendete, Katalogtext, mk)
FAMILIE – 1.3.2023 bis 31.3.2023

Familienurlaub, 22 min, 2012
Das ist eigentlich nur ein Familienurlaub. Ich filme meine Familie, als wir im Irak meine Verwandten besucht haben. Ich habe in 17 sehr kurzen Szenen versucht die Familie, die Kultur und am wichtigsten, wie wir mit der Langeweile dort klar gekommen sind, einzufangen. (Kurdwin Ayub)

Boomerang, 21 min, 2018
Ein Mercedes steht vor einem Haus, offenbar wartend, doch der Motor läuft nicht. Da spaziert ein Mädchen vorbei, nähert sich dem Hauseingang. Der Fahrer streckt sich aus dem Fenster, er möchte mit hinauf. „Geh weg, Papa, du bist peinlich“, sagt das Mädchen. – „Ich liebe dich“, antwortet der Vater. Doch Dana lässt sich nicht beirren. Sie ist auf dem Weg zur Einweihungsparty ihrer Mutter, die frisch nach der Trennung in eine eigene Wohnung gezogen ist.

PARADIES! PARADIES!, 78 min, 2016
Das Flugzeug, das Kurdwin und ihren Vater Omar zu den kurdischen Verwandten bringt, ist fast leer. Wer möchte in diesen Zeiten schon in den Nordirak fliegen? Omar hat in Wien erfolgreich seine Arztpraxis aufgebaut. Kurdwin ist in Österreich aufgewachsen und sieht den „Heimat“-Besuch eh kritisch. Nach Erbil zieht es Kurdwin Ayubs Vater Omar, der sich eine Wohnung in seiner Heimat kaufen möchte – einer Heimat, die er und seine Familie vor rund 25 Jahren verlassen mussten. Kurdwins Film, der ihren Papa auf seiner skurrilen Immobiliensuche begleitet, ist eine Hommage an ein vom Krieg gebeuteltes Land, das für Omar dennoch ein Paradies ist. PARADIES! PARADIES! ist eine tragikomische Doku geworden, ein Selbst- und Generationenporträt und in jedem Fall ein Film, an den man sich erinnert.